LGBTQ Flagge
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Club der Anonymen weißen Europäer8 min read

Lesedauer 6 Minuten

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Ich laufe durch eine dunkle Gasse. Ziel­strebig laufe ich auf eine schlecht beleuch­tete Tür zu. Das Schild „CDAWE“ ist nur sehr klein und schlecht zu sehen. Da es nicht mein erster Besuch hier ist, weiß ich dennoch wo ich hin muss.

Im Gebäude selbst gibt es nur eine Tür, die offen ist. Sie ist leicht angelehnt, sodass etwas Licht die Neuan­kömm­linge begrüßt.

Ein kurzes Grinsen entflieht meinem Gesicht. Als ob sich so viele neue Gesichter hier blicken lassen würden. Die meisten betrof­fenen trauen sich nicht hier herzu­kommen. Aus Angst dabei gesehen zu werden.

Mein erstes Mal war auch eine große Über­win­dung für mich, doch ich musste mit jemanden sprechen. Ich wollte wenigs­tens für einen Moment das Gefühl haben verstanden zu werden. Betroffen sind so viele, aber die wenigsten trauen sich dazu­zu­stehen. Viele verleugnen es und beteuern es genau wie die anderen zu sehen. Aber darüber werde ich eh gleich mit den anderen reden.

Ich betrete den Raum und setze mich. Wir sind heute wohl nur zu siebt. Das ist okay. So kommt jeder zu Wort. Jeder der möchte.

Mit einem stummen nicken begrüßen mich die anderen.

Hans, der Moderator in dieser runde richtet das Wort an mich.

„Hallo Chris, schön, dass du wieder mal da bist. Möchtest du heute darüber reden, warum du hier bist oder möchtest du nur zuhören?“

Die letzten male, war ich immer nur Zuhörer. Hier herzu­kommen kostet Kraft, aber vor den anderen darüber zu sprechen ist noch schwierig für mich. Doch ich habe es mir vorge­nommen. Heute möchte ich endlich loswerden, wie es mir geht. Was ich fühle. Warum ich hier bin.

Daher nicke ich, räuspere mich ein letztes Mal und beginne zu sprechen.

„Hallo liebe CDAWE“

Alle Antworten: „Hallo Chris, schön, dass du deine Gedanken mit uns teilst“. Ein festes Ritual bei jedem, der etwas sagen möchte. Es gibt noch einmal Kraft.

Ich ergreife wieder das Wort:

„Ich bin hier beim CDAWE, dem Club der Anonymen weißen Europäer, weil ich nicht damit zurecht­komme, wie andere mich sehen.

Was war das doch früher für ein Segen, als ich noch zu den unbe­wussten gezählt habe. Zu denen, die sich nicht mit dem Thema beschäf­tigt hatten und gar nicht mitbe­kommen, was um Sie herum passiert. Doch ich habe mich dafür in die ‚falschen‘ kreise begeben“. Während ich ‚falschen‘ sage, zeichne ich Anfüh­rungs­zei­chen mit meinen Händen in die Luft.

„Als ich öfter zu den Polygamie-Stamm­tisch gegangen bin, traf ich auf eine ganz neue Gruppe an Leuten. Es eröffnete sich mir eine komplett neue Welt. Dort traf ich das erste Mal auf Leute, die öffent­lich zugaben auf BDSM zu stehen. Dort traf ich meine ersten Trans­se­xu­ellen Personen. Durch diese Gruppe Menschen bin ich auch auf den CSD-Freiburg gegangen. Und natürlich habe ich auch da neue außer­ge­wöhn­liche Leute kennen­ge­lernt.

Ich war über­flutet von all den neuen Themen, die auf mich zuge­kommen sind. War begierig zu lernen und gab mir auch Mühe, diese neuen Leute zu unter­stützen, wenn ich konnte.

Eine Person die nach körper­li­chen Attri­buten wohl als Frau einge­stuft werden würde mit männ­li­chen Pronomen (Er/Ihn/etc.) war ungewohnt. Doch ich fand es wichtig. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch auf solche Wünsche eingehen sollte, wenn diese Person irgendwie kann.

Auch war auf einmal das Thema „Femi­nismus“ sehr präsent. Mir wurde auf einmal aufge­zeigt wie groß doch das „Gender-Gap“ alleine schon zwischen Frau und Mann ist. Und dann kamen da ja auf einmal noch viele andere Möglich­keiten der Geschlechter hinzu.

Ich wollte mit Disku­tieren, verstehen, wo diese Leute ihren seeli­schen Schmerz haben. Worauf ich achten konnte, damit ich mit meinem Verhalten einen Schritt in die richtige Richtung machen würde.

Und zu Anfang dachte ich auch noch, ich könnte es schaffen. Schnell merkte ich, dass ich viel zu lernen hätte. Aber ich war willig. Brauchte jedoch Personen, die mir meine Fehler zeigten und mir halfen mich zu verbes­sern.

So motiviert wie ich war, ich glaube, das war der Zeitpunkt meines Bewusst werden. Der Punkt, an den mir klar wurde, dass ich ein Verbre­cher bin. Ein Mensch, der sich über alle stellt ohne es zu Wissen. Ein Mensch, der sich fälsch­li­cher­weise als die „Krone der Mensch­heit“ sieht.

Ja, ich gestehe.

Ich bin ein weißer cis hetero Mann euro­päi­scher Herkunft.

Ihr alle hier wisst, warum diese Aussage so wichtig ist. Doch ich möchte es noch einmal mit meinen Worten sagen.

Ich bin CIS, kann damit also nicht nach­voll­ziehen wie es ist, sich im falschen Körper zu fühlen.

Ich bin hetero, also kann ich die Diskri­mi­nie­rung der anders liebenden nicht nach­voll­ziehen. Ja, ich habe Polyamor geliebt, aber das reicht nicht um diese Diskri­mi­nie­rung nach­voll­ziehen zu können.

Ich bin ein Mann und musste damit nie den Sexismus gegenüber Frauen oder anderen Perso­nen­gruppen nicht erleiden.

Ich bin Europäer. Da ich auch so aussehe kann ich die Diskri­mi­nie­rung anderer ethni­schen Gruppen nicht nach­voll­ziehen.

Das sind Vorwürfe, die ich mir anhören muss. Und ja, Sie alle haben ihre Berech­ti­gung.

Es stimmt, dass es falsch ist Personen aufgrund irgend eines Krite­riums zu diskri­mi­nieren. (Okay, bei Nazis und deren Anhängern mache ich eine Ausnahme, aber das ist noch mal ein ganz eigenes Thema).

Wenn Femi­nismus bedeutet, dass jeder die gleichen Rechte haben soll. Ja, dann wäre ich gerne ein Feminist. Doch ich habe mir zu oft sagen lassen müssen. Als weißer cis hetero Europäer (WCHE) steht es mir nicht zu darüber zu Disku­tieren. Ich darf Blind unter­stützen, aber meine Meinung, so lange Sie nicht 100% die gleiche ist, soll nicht gehört werden.

Meine letzte Diskus­sion war, als ich über einen Tweet lass, das an einer Uni bei freien Stellen im ersten halben Jahr, Bewer­bungen von Männern nicht beachtet werden.

Mir ist klar, dass diese Aktion dazu das ist, mehr Frauen an wichtige Posi­tionen zu bringen. Dennoch wider­strebt mir diese Aktion zutiefst.

Ihr fragt euch, warum ich behaupte gerne Feminist zu sein, wenn ich doch solch eine wider­wärtig Aussage bringe, dass ich Frauen diesen Vorteil nicht zuge­stehen möchte?

Naja, ich empfinde die Frage als falsch gestellt. Mein Problem hierbei ist, ich empfinde es als falsch, jahre­lange Diskri­mi­nie­rung durch eine andere Diskri­mi­nie­rung zu bekämpfen. Diese wurde übrigen bei der Diskus­sion als „positive Diskri­mi­nie­rung“ bezeichnet. Eine Bezeich­nung bei der mir schlecht wird.

Gleiche Rechte für alle, das sollte das Ziel sein. Diskri­mi­nie­rung muss verschwinden. Auch das ist wichtig. Doch kann es das Ziel sein, jetzt andere schwach zu machen?

Genau diese Diskus­sionen sind es, die es mir schwer machen.

Ich würde mich gerne für mehr Rechte bei den Frauen einsetzen.

Gerne möchte ich der LGBTQ helfen, dass auch Sie komplett anerkannt werden.

Doch wenn ich mir dabei dauern anhören muss, dass ich als WCHE es eh nicht verstehe. Dass ich es nicht nach­voll­ziehen kann. Mich schon nahezu beschimpfen lassen muss, weil ich als „privi­le­gierter“ WCHE ja keine Ahnung habe. Dann verschwindet mein Interesse. Innerlich bäumt sich in mir etwas auf, die Personen, die mich wegen meinem WCHE-sein angreifen, schon im Vorfeld anzu­greifen.

Wenn schon der Böse sein, dann wenigs­tens mit voller Absicht.

Warum sollte ich noch Rücksicht nehmen, wenn ich doch eh der böse bin?“

Ich merke, dass ich mich langsam in Rage geredet hatte. Doch bei den letzten Sätzen sinke ich immer mehr in mich zusammen. Es scheint, als würde jede Kraft aus mir weichen.

„Und dennoch, ich will nicht Angreifen. Es darf nicht so enden, dass aus Unmut anderer, ein „Gegenhass“ wird. Aber die Kraft zu unter­stützen ist mir dadurch voll­kommen verloren gegangen.

Es tut weh, denn es gibt so viele tolle Menschen. Es ist schade, zu sehen, dass wir nicht alle gleich behandelt werden. Aber wenn die Opfer auch Unter­stützer Angreifen, warum sollte ich dann noch Unter­stützen.“

Inzwi­schen lasse ich den Kopf komplett hängen. Desil­lu­sio­niert setze ich mich endlich.

„Ich danke euch, dass ihr mir zugehört habt. Es tut gut, sich auszu­spre­chen, ohne direkt als „Anti-Feminist“ ange­griffen zu werden. Es ist schwer für mich zu entscheiden, wo ich noch reden darf, und wo ich lieber schweigen sollte. Denn ich habe das Gefühl. Je mehr ich helfen werden, desto mehr werde ich darauf reduziert ein weißer Mann zu sein.

Ja, es stimmt, ja dass bin ich. Ja, ich kann vieles nicht nach­voll­ziehen. Doch trotzdem, bin ich deswegen wirklich ein schlechter Mensch?“

Mit einer Handgeste Richtung Hans gebe ich zu verstehen, dass ich für heute genug geredet habe. Was danach noch gespro­chen wird, bekomme ich nicht mehr mit. Zu sehr bin ich in meine eigenen Gedanken vertieft.

Mir ist klar, dass ein Kern in mir sich auch von alledem ange­griffen fühlt. Wie viel davon ist, weil ich „meine privi­li­gierte Position“ gefährdet sehe und wie viel davon ist, weil ich es einfach schade finde wie viel Unmut bei diesen Themen umher­schwirrt weiß ich nicht.

Ein kleiner Kern in mir hofft, dass es bald egal ist. Dass es bald echte Gleich­heit für alle geben wird. Doch leider ist mir auch klar, dass es noch ein weiter weg bis dahin ist. Ein Kampf, den wir alle gemeinsam fürein­ander und nicht gegen­ein­ander kämpfen sollten.

Spät in der Nacht verlassen wir den Raum. Keiner ist glücklich, keiner hatte eine Lösung. Wir werden weiterhin versuchen zu Verstehen, weiterhin Schritte auf alle anderen zuzu­ma­chen. Egal wie viel Kraft es kostet. Auch, wenn wir uns manchmal verschließen müssen, einfach um Kraft zu sammeln und diesen Unmut Stand­halten zu können….

Edit 30.06.19:
Eine für mich Inter­es­santes Video zu dem Thema möchte ich euch gerne zeigen.

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